Andreas Greiner

Naturkunden

21.04.2018 bis
08.07.2018

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Algen leuchten bei Berührung blau; Hochleistungshühner aus Mastbetrieben werden mit kurzen, absurd dicken Beinen gezüchtet, um ihren schweren Körper zu halten; ein Tintenfisch in Japan leuchtet in 300 Metern Tiefe, um einen Partner zu finden: Das sind die lebenden Organismen, die das Material von Andreas Greiners Living Sculptures bilden. Statt auf Bewegungen im Meer reagieren dann die Algen auf die Klänge eines automatischen Klaviers, wie in der Installation „From String to Dinosaurs“ (2014), oder sind, wie der leuchtende Tintenfisch, Protagonist des Videos „Studies of an Alien Skin“ (2016), wobei der Künstler die farbenprächtig pulsierende Haut des Tiers in beinahe mikroskopisch anmutender Vergrößerung zeigt. Die eigens für das Video komponierte Musik von Tyler Friedman gibt die sichtbaren Bewegungen auf der Hautoberfläche in akustischer Form wieder.

Es sind diese wunderbaren, zum Teil märchenhaft anmutenden Phänomene der Natur in all ihren faszinierenden Facetten, die Andreas Greiner wissenschaftlich erfasst, in eine künstlerische Sprache übersetzt und so dem Auge des Betrachters zugänglich macht, ja sie mitunter, siehe die Aufnahmen des Tintenfisches, feiert.

Im Rahmen wissenschaftlicher Versuchsanordnungen untersucht Andreas Greiner bestimmte Eigenschaften von Lebewesen und transferiert sie in den Kunstkontext. Die Natur als Ausgangspunkt seiner Arbeit und die naturwissenschaftliche Methodik als  seine künstlerische Herangehensweise verbindet sich in den Arbeiten mit einem klaren ästhetischen Anspruch, der tatsächlich die Frage nach einer lebendigen Skulptur nahelegt.

Natürlich vermittelt sich in seiner Arbeit auch die Sorge um das Lebewesen selbst, um das Tier als Teil unserer Welt. Für die „Studie (Porträt), Zur Singularität des Tieres“ (2015) bekam Andreas Greiner den IBB-Preis für Photographie. In dieser Arbeit porträtiert er vier Hühner: den Masthahn Heinrich, der klassisch im Halbprofil fotografiert wird, Karl, von dem es eine Röntgenaufnahme des Skeletts gibt, Elisabeth, die mit einer DNA-Analyse vertreten ist und Margarete, von der er die Aufnahme eines histologischen Schnitts des Brustgewebes zeigt. Dadurch dass die Tiere das anonymisierte Feld der Lebewesen durch die Namensgebung und das klassische Porträtiertwerden verlassen, kritisiert Andreas Greiner hiermit auch  die anthropozentrische Sicht, nach der sich der Wert der Natur aus ihrem Nutzen für den Menschen ergibt und verweigert ihr seine Zustimmung.

Im „Monument für die 308“ präsentiert er ein acht Meter hohes Skelett eines Huhns (des Hybridhuhns Ross 308, entstanden nach 308 Kreuzungsversuchen). Die gequälte Kreatur, durch fortwährende Züchtung für ein schnelleres und größeres Fleischwachstum und die Lebensbedingungen in der Massentierhaltung optimiert, bekommt hier ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt. Die Übertragung des Skeletts ins Monumentale durch den 3D-Drucker ist ein künstlerischer Akt, dessen Ergebnis vom Betrachter kaum mehr als Huhn erkannt wird, sondern vielmehr wie ein Dinosaurier im Naturkundemuseum identifiziert wird. In ihrer Ausgabe vom 18. November befragt die FAZ den amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen nach seiner Vorliebe für Vögel, und er begründet seine Liebe zu diesen Tieren mit dem ewigen Staunen darüber, dass diese zu den ältesten Lebewesen der Erde gehörten. Ihm sei es nachgerade so, sagt er, als sähe man einem fliegenden Dinosaurier zu. Vom Dinosaurier bis zum Hochleistungshuhn: Andreas Greiner führt in seiner Arbeit eine ästhetische, moralische und wissenschaftliche Auseinandersetzung. Nicht zuletzt geht es dabei auch um die Frage der Erschaffung von Leben – als Künstler oder auch als Wissenschaftler.

Andreas Greiner, geboren 1979 in Aachen, studierte zunächst Medizin und wechselte nach dem Physikum in den Bereich der Kunst, beendete 2013 sein Studium als Meisterschüler von Olafur Eliasson. Er lebt und arbeitet in Berlin und wurde 2016 mit dem GASAG Kunstpreis, verbunden mit einer Ausstellung in der Berlinischen Galerie, ausgezeichnet. 2015 erhielt er den IBB Preis für Photographie. Neben seinem eigenen Werk arbeitet er mit im Künstler-Kollektiv „Das Numen“.

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Algae light up in blue when touched; high-yield-varieties of chicken from fattening farms are bred with short, absurdly thick legs to support their heavy bodies; a squid in Japan glows at a depth of 300 meters to find a mate: these are the living organisms that make up the material in Andreas Greiner’s Living Sculptures. Instead of movements in the ocean, the algae react to the sounds of an automatic piano, as in the installation “From String to Dinosaurs” (2014), or they become, like the glowing squid, the protagonist of his video “Studies of an Alien Skin” (2016), where the artist shows the colorfully vibrant skin of the animal in near microscopic magnification. The music for the video composed by Tyler Friedman is an acoustic reproduction of the visible movements on the surface of the skin. For this work, they were both awarded the 2015 Conlon Music Prize for Disklavier Plus.

It is these wonderful, sometimes magical phenomena of nature in all their intriguing facets that Andreas Greiner first captures scientifically, and then translates into an artistic language to thus make them accessible to the viewer and, yes sometimes, to even celebrate them, as in the images of the squid.
Within the framework of scientific test arrangements, Andreas Greiner examines certain characteristics of living beings and transfers them into the context of art. Nature as the point of departure for his work and the scientific methodology as his artistic approach are combined in his works with a clear aesthetic position that does actually suggest the notion of a living sculpture.
As might be expected, there is in his work a concern for the living being itself, for the animal as part of our world. For “Studie (Porträt), Zur Singularität des Tieres” (2015), Andreas Greiner received the IBB Prize for Photography. In this work, he portrays four chickens: Heinrich, who is photographed in traditional semi-profile; Karl, with an X-ray of the skeleton; Elisabeth, who is represented by a DNA analysis, and Margarete, where he presents a histological section of her breast tissue. In allowing the animals to leave the anonymized field of living beings by naming them and applying traditional portrait formats, Andreas Greiner also criticizes the anthropocentric view that the value of nature results from its usefulness for humans, while clearly refusing his consent.

In “Monument für die 308”, he presents a skeleton of a chicken eight meters in height (the hybrid chicken Ross 308, created after 308 crossbreeding experiments). It serves to preserve the memory of the tortured creature, optimized by continuous breeding for faster and larger meat growth and for the living conditions in factory farming. The transfer of the skeleton to a monumental scale using a 3D printer is an artistic act. To the viewer, its result might hardly be recognizable as a chicken, but rather be identified as a dinosaur such as in a Natural History Museum. In its November 18 issue, the FAZ newspaper interviews the American writer Jonathan Franzen about his penchant for birds, and he substantiates his love for these animals with the eternal wonder that they are among the oldest creatures on Earth. It is, he says, as if I am looking at a flying dinosaur. From dinosaurs to high-performance chicken: Andreas Greiner’s work constitutes an aesthetic, moral and scientific examination. Last but not least, it is also about the question of the creation of life – as an artist and also as a scientist.
Andreas Greiner, born 1979 in Aachen, initially studied medicine and, after his Physikum, he switched to the field of art. He concluded his studies in 2013 as a master student of Olafur Eliasson. He lives and works in Berlin and, in 2016, was awarded the GASAG Art Prize, combined with an exhibition at Berlinische Galerie. In addition to his own work, he works in the artist collective “Das Numen”.
Andreas Greiner has realized a new work for this exhibition. A film about cell growth combines with a composition by Icelandic composer Páll Ragner Pálsson to form an installation, which will be premiered on the evening of the opening preview with Tui Hirv (vocals), Nanna Koch (violin) and Tinna Thorsteinsdottir (piano).